Kletter-Physiotherapeut im Interview

Kletter-Physiotherapeut
Interview mit dem Fingerspezialisten Klaus Isele

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Welches Ziel verfolgst du mit deiner Studie?

Zur konservativen, also nicht-operativen Behandlung von Fingerbeschwerden gibt es bislang wenig Forschung, weil der Klettersport sehr jung ist. Die meisten Beschwerden sind konservativ zu lösen, die wenigsten operativ. Weil aber Therapeuten nicht gewohnt sind zu publizieren, gibt es zu dem Thema mehr operations-orientierte Forschungen. Ärzte wie Volker und Isabelle Schöffl oder Andreas Schweizer machen das super. Aber es gibt eben viele Kletterer mit Fingerbeschwerden, die brauchen die Operation noch nicht. Und das ist dann eher mein Gebiet.

Kannst du deine Herangehensweise bei Fingerverletzungen beschreiben?

Ich habe in sieben Jahren Arbeit eine eigene Methode zur Behandlung von kletterindizierten Fingerbeschwerden entwickelt. Die basiert auf dem osteopathischen Konzept, den Körper zur Selbstheilung anzustoßen. Es fließen aber auch Elemente der klassischen Physiotherapie und aus der jüngeren Faszien-Forschung ein. Ein Kletterer will möglichst schnell wieder schmerzfrei klettern, und das versuche ich zu erreichen. Deshalb halte ich auch wenig davon, von 40 Minuten Therapie 35 auf die Diagnostik zu verwenden.

Also hast du gewissermaßen die therapeutischen Ansätze auf den ja noch eher jungen Klettersport angepasst?

Es gibt noch kaum Therapieformen der konservativen Behandlung zum Beispiel für Finger, weil der Sport eben noch sehr jung ist. Die meisten Fingerbeschwerden sind aber manuell gut zu behandeln. Die Studie kann dann hoffentlich mal eine neue Richtung vorgeben, was Fingertherapie angeht. Also, vielleicht auch nicht, das sehen wir dann am Ende.

Was ist das besondere an Deinem Ansatz?

Viele Fingerprobleme sind wie gesagt ohne Operation gut zu behandeln. Für mich ist außerdem wichtig, die sogenannte individuelle Norm des Patienten zu erfassen und nicht irgendeinen Standard anzunehmen, und dem musst du dann entsprechen. Das ist nämlich nie so. Mir geht es darum, die jeweilige Person mit ihren eigenen Voraussetzungen zu erfassen und auch die Therapie auf diesen Patienten anzupassen.

Das entspricht dann der osteopathischen Herangehensweise. Ich vergleiche nicht den schmerzenden Finger mit einem ermittelten Durchschnittswert, sondern ich vergleiche ihn mit dem nicht betroffenen Finger. Ich hole mir den Vergleich sozusagen an deinem eigenen Körper. Mir ist bei der Therapie wichtig, dass es wirkt. Die individuelle Antwort des Patienten ist mir wichtiger als die Erfüllung einer Norm. Als Kletterer frage ich mich, was würde ich wollen? Ich will schmerzfrei klettern, fertig.

Und ob man jetzt ein Handspezialist nach dem dritten MRT genau erklärt, warum es weh tut, bringt mir ja nichts. Das ist mir egal. Ich will ja, dass es besser wird. Und ganz typisch ist, dass ein Patient zu mir kommt mit einem Erklärungsmodell, warum es nicht mehr geht, und warum ihnen der Therapeut oder Arzt verboten hat zu klettern und so weiter. Aber das hilft ja gar nicht. Der Patient hat eine Erklärung bekommen, wollte aber eine Hilfe. Das ist ein großer Unterschied!

Ob dann meine neuen Methoden etwas helfen können oder nicht, versuche ich in meiner Arbeit herauszufinden, beziehungsweise zu belegen. So oder so: Mir geht es um eine Verbesserung für den Patienten, und nicht um ein Erklärungsmodell, warum es nicht geht, und dass der Patient mit dem Klettern aufhören soll.

Aber die meisten Ärzte sagen ja nicht, das darfst du nie wieder tun, sondern sagen, jetzt pausieren Sie mal vier Wochen.

Und wie oft hat das was gebracht? Das Problem ist, dass durchs Schonen oft noch Probleme hinzukommen. Das ist eine zweischneidige Angelegenheit. Das gilt es individuell zu betrachten.

Was ist das Problem mit dem Schonen, abgesehen davon, dass es uns Kletterer unglücklich macht?

Es entsteht schnell ein Schaden durch das Schonen. Durch das lange Nichtstun und Warten ist der Stoffwechsel reduziert, da ändern sich viele Prozesse. Oft sind auch Bewegungsabläufe betroffen. Der Schaden durch das Schonen überwiegt oft den Nutzen, und teil vieler herkömmlicher Therapien ist dann nachher, den wieder wegzubringen.

Es ist aber auch nicht richtig zu sagen, dass man nicht schonen soll. Wenn es akut ist, kann Ruhe notwendig sein. Aufpassen muss man, wenn ein starker Schmerz auftritt oder bei einem bekannten Schmerz eine qualitative Veränderung auftritt.

Es ist schon sinnvoll, wenn ich nach einer Verletzung den Finger zum Beispiel wieder an die zu leistende Aufgabe heranführe. Dann arbeitet das Gewebe in der Funktion und der Körper setzt alles daran, die volle Funktionsfähigkeit wieder herzustellen. Wenn ich in der Bewegung bleibe, richten sich diese Strukturen so aus, wie sie gebraucht werden.

Und was ist dann Dein Ansatz, ohne Schonen, wie funktioniert das?

Es gibt sicherlich Situationen, in denen Schonen sinnvoll ist. Aber meiner Ansicht nach eben deutlich weniger als oft angenommen.

Ich mache ganz genau das Gegenteil vom Schonen. Ich gehe hin - also vor allem jetzt bei der Fingertherapie - und setze dem Körper nochmal einen zusätzlichen Reiz, eine Mehr-Entzündung auf die notorische Stelle. Klassische Behandlung versucht die Entzündung zu lindern, da wird dann ein Kortison gespritzt und Ibuprofen verschrieben, damit die Entzündung abklingt. Aber Entzündung ist ein Heilprozess! Damit zeige ich dem Körper: hier ist eine Baustelle, tu was! Deshalb gibt es auch eine mögliche Erstverschlechterung. Aber ich habe damit gute Erfahrungen gemacht.

Du bist Fan von individuellem Programm für kletternde Individuen. Wie siehst du denn das, wenn viele Kletterer - auch in Ermangelung von Trainern - jetzt alle die gleichen Trainingsprogramme (beispielsweise mit Trainings-Apps à la Beastmaker) fahren, im Kletter-Breitensport?

Tja. Dann wird aus dem Kletterer halt kein hervorragender Athlet, oder? Um erfolgreich zu sein im Klettern, muss ich selbst erkennen, ob ich zum Beispiel länger aufwärmen muss oder kurz aufwärmen schon reicht. Ob ich verletzungsanfälliger werde, wenn ich dies mache, oder eben jenes. Wann ich leistungsfähiger bin, und was dazu führt, dass ich leistungsfähiger werde. Das muss doch jeder für sich herausfinden.

Du bist also kein Fan von Standardprogrammen?

Naja, das kann schon funktionieren, wenn es ein halbwegs gutes Programm ist. Der Kletterer wird schon stärker werden. Aber über einen gewissen Punkt wird er damit nicht mehr herauskommen.

Ein Spitzenathlet ist jemand, der seinen Körper einschätzen kann und weiß, was für ihn selbst gut ist, auch wenn die anderen alles anders machen. Da gehört auch eine Art Egoismus dazu, zu sagen, heute muss ich trainieren, oder heute muss ich aufhören oder das lassen, das ist nicht gut für mich.

Es ist schon legitim, erst einmal mit einem Standardprogramm zu beginnen. Und darauf aufbauend vielleicht herauszufinden, was für einen persönlich passt. Das ist voll wichtig. Athleten, die das schaffen, sind die, die lange im Sport bleiben.

Mal abgesehen davon, dass ich lerne wie ich trainieren muss; wie lerne ich denn, was gut oder schlecht für mich ist? Worauf achte ich denn konkret?

Das kann man lernen. Man muss halt aktiv hinspüren. Das Lernen geht natürlich mit der Unterstützung eines Trainers oder Therapeuten einfacher, der kann dann gezielt Fragen stellen und das Bewusstsein dahin lenken. Die Frage ist immer: Was tut mir gut? Beispiel Dehnen, bei manchen ist das gut, bei manchen weniger. Das ist immer individuell zu entscheiden.

Kann man denn „falsch“ trainieren?

Klar, da sind üblicherweise Beschwerden wie Schmerzen oder das Feedback, dass es sich nicht gut anfühlt, schon ein klarer Indikator dafür. Problematisch ist halt, wenn man ungefragt irgendwas übernimmt, weil es gerade in Mode ist.

Beispiel Ausgleichstraining: Das hältst Du also nicht für sinnvoll, wenn jeder das macht?

Ja. Das ist Blödsinn. Solange Du kein Problem hast, ist doch alles ok. Wenn es Probleme gibt, kann man ja etwas unternehmen, zum Therapeuten gehen. Dann schaut man hin, was im speziellen Fall nötig ist. Diese ganzen allgemeinen Aussagen helfen in meinen Augen nicht weiter. Es stellt sich doch die Frage: Was ist für mich ein Problem? Wann agiere ich? Erst bei Schmerz? Oder schon, wenn ich merke, dass ich einen Verlust meiner Beweglichkeit feststelle?

Ausgleichstraining ist insoweit sinnvoll, als dass es ein Krafttraining ist. 64 Prozent der Komponenten beim Klettern betreffen die Kraft. Werde ich stärker, hilft das natürlich auch dem Klettern. Und damit das Ausgleichstraining was bringt, muss es vor allem individuell angepasst sein und nicht nach Schema F gilt für alle das gleiche. Nützlich ist es auch, wenn ein Kraftzuwachs zu verringerter Beweglichkeit führt: Hier kann man mit Ausgleichstraining gut gegensteuern.

Was sind die hauptsächlichen Probleme, die du auf Wettkämpfen behandelst?

Eine der häufigsten Verletzungen ist das Supinationstrauma, also ein Bänderriss im Sprunggelenk, oder Vorstufen davon; Schulterbeschwerden und Nackenprobleme kommen vor, und natürlich Finger. Oder es gibt schon eine Vorbelastung, Kniebeschwerden. Wenn da ein Kletterer ein Problem im Wettkampf hat, dann muss ich etwas parat haben, das schnell funktioniert. Da habe ich nur 5 Minuten. Dann muss ich schnell entscheiden: Der ist so schlimm verletzt, die Sache ist erledigt, der Wettkampf für den betroffenen Kletterer ist zu Ende; oder man kann es richten: aber dann sind die fünf Minuten für Erklärung und Therapie und alles, das ist sehr kurz. Das heißt entweder kann ich es schnell machen oder es geht sich nicht mehr aus. Und in der Zeit muss ich aber schauen wie gravierend das Problem ist und gemeinsam mit dem Athleten entscheiden, wie man vorgeht.

Vielen Dank Klaus!

Mehr zu Klaus unter www.therapierbar.com


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